
Gesundheitspolitik Grossfusion in der Alterspflege: Was die Stadt Luzern plant, wird in Wil (SG) schon erfolgreich gemacht
Ambulante und stationäre Betreuungs- und Pflegeangebote für Senioren aus einer Hand: Mit der Vision der integrierten Versorgung prüft die Stadt Luzern die Zusammenführung von Viva Luzern, Spitex Stadt Luzern und Vicino Luzern . Für Luzern wäre solch eine Fusion ein Novum, an anderen Orten in der Schweiz gibt es bereits Organisationen, die so funktionieren.
Seniorinnen und Senioren möchten möglichst lange in der eigenen Wohnung leben. Damit sie dort Pflege, Haushaltshilfe oder soziale Unterstützung erhalten, gibt es Organisationen wie die Spitex oder die Quartierarbeit von Vicino Luzern. Ein definitiver Eintritt in ein Altersheim wird möglichst lange hinausgezögert. Trotzdem kommt es oft schon vorher zu temporären Heimaufenthalten, sei es in einem Ferienbett oder nach einem Spitalaufenthalt.
Der Wechsel zwischen verschiedenen Institutionen ist immer mit Bürokratie verbunden. «An den Schnittstellen zwischen den Organisationen, etwa zwischen ambulanter und stationärer Pflege, kommt es heute zu einem Bruch im Versorgungspfad», sagt Armida Raffeiner, Stabschefin der Stadtluzerner Sozial- und Sicherheitsdirektion. Die Stadt will diese Schnittstellen unkomplizierter gestalten und die Versorgung von älteren Menschen hin zu einer integrierten Versorgung weiterentwickeln: Betreuungs-, Pflege- und Wohnangebote sollen aus einer Hand kommen.
Deshalb wird geprüft, die Viva Luzern AG, die Spitex Stadt Luzern und Vicino Luzern unter einem Dach zu vereinen. Das fusionierte gemeinnützige Unternehmen soll ein ganzheitliches Angebot für ältere Menschen gewährleisten. Dieses würde ambulante und stationäre Pflege und Betreuung, altersgerechtes und bezahlbares Wohnen sowie Dienstleistungen für die Versorgung und Quartierarbeit beinhalten. Die stadteigenen Alterswohnungen sollen der neuen Organisation im Baurecht abgegeben werden.
Vorbilder gibt es in der Schweiz bereits
Alle drei Organisationen zeigen grosse Bereitschaft für die vertiefte Prüfung dieser Idee. Bereits heute arbeiten sie untereinander eng zusammen – ebenso mit der Stadt. Als Vorbild für die mögliche Zusammenführung dient unter anderem die Thurvita in Wil (SG) – eine Organisation, die ambulante und stationäre Angebote integriert und als Aktiengesellschaft im Besitz dreier Gemeinden ist. Dort habe man durch innovative Angebote beispielsweise die Bezahlbarkeit von Pflege zu Hause verbessern können, heisst es im Bericht und Antrag des Stadtrats.
«Wir sehen grossen Nutzen in einer solchen Kooperation, denn heute können wir nicht alle Dienstleistungen selbst erbringen», sagt etwa Rolf Krummenacher, Verwaltungsratspräsident von Viva Luzern. Christoph Buerkli, Präsident der Spitex Stadt Luzern, betont die Möglichkeit, neue Dienstleistungen zu entwickeln und stärker bedarfsorientiert zu agieren. «Hinzu kommt, dass in einer solchen Organisation das Auslastungsrisiko reduziert würde.» Und Christian Vogt, Co-Präsident von Vicino Luzern, sieht in einer Fusion der drei Organisationen das Potenzial, mehr Anlaufstellen und Dienstleistungen direkt in den Quartieren anbieten zu können. Alle drei betonen, dass die Bedürfnisse des Menschen im Zentrum stehen.
Für die Stadt ergäbe sich aus der Fusion der drei Institutionen der Vorteil, die 220 stadteigenen Alterswohnungen mittels Baurecht auszulagern. Damit würde auch deren Sanierung und Unterhalt in die Verantwortung der neuen Organisation gelangen. Laut Stadtrat Martin Merki (FDP) wird mit der Eigentümerstrategie die Steuerung durch Stadt und Parlament ausgebaut im Vergleich zu den heutigen Leistungsvereinbarungen. Weiterhin soll es zudem verschiedene, auch private Anbieter geben, damit die Wahlfreiheit gewährleistet sei. Merki betont: «Es entsteht kein bürokratischer Moloch, wenn Viva, Spitex und Vicino vielleicht zusammenkommen.»
Ob und wie die Zusammenführung realisiert wird, ist noch offen. Die Stadt will mit den beteiligten Organisationen ein Detailkonzept erarbeiten und dieses dem Grossen Stadtrat Mitte 2023 präsentieren. Für den Start der Konzeptphase im Herbst 2021 beantragt der Stadtrat beim Parlament einen Nachtragskredit von 35’000 Franken. Insgesamt wird mit Projektkosten von 440’000 Franken gerechnet.
40 Prozent mehr über 65-Jährige in 25 Jahren
Die Stadt Luzern rechnet bis 2045 mit einer Zunahme von 40 Prozent bei der Altersgruppe der über 65-Jährigen. Dies sind rund 5700 Personen mehr als heute. Man geht davon aus, dass die Nachfrage nach altersgerechten Wohnungen steigen wird. Diese sollen auch bezahlbar sein: Rund 10 Prozent der über 65-Jährigen sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen.
Bezahlbarer Wohnraum für ältere Menschen zu schaffen, ist ein Auftrag des Stadtparlaments. Ebenfalls hat der Grosse Stadtrat eine integrierte Versorgung von älteren Menschen gefordert. Sie sollen in ihren Quartieren bestmöglichen Zugang, beispielsweise zu Einkaufsmöglichkeiten, ÖV, oder sozialen Kontakten haben.
Ein Zukunftsinstitut hat einmal errechnet, dass in Europa in knapp acht Jahren mehr als die Hälfte der Menschen über 50 Jahre alt sind. In der Stadt Luzern machte diese Altersgruppe 2019 über 38 Prozent aus. Nun hat die Stadt mit einer repräsentativen Befragung den über 65-Jährigen auf den Zahn gefühlt. Dies war eine der Bedingungen, um von der Weltgesundheitsorganisation WHO in den Kreis der «altersfreundlichen Städte» aufgenommen zu werden. Weltweit sind 33 Städte im WHO-Netzwerk, seit dem 23. April auch die Stadt Luzern. Ein ähnliches Netzwerk gibt es zudem auf nationaler Ebene mit 26 Städten – auch dort ist Luzern dabei.

