
Sicherheit oder Freiheit für Senioren? Alterszentren befinden sich im Dilemma
Seit Monaten ist es den Bewohnern von einigen Altersheimen fast unmöglich, das Heim von aussen zu betrachten. Hier als Beispielbild das Alterszentrum Im Morgen in Weiningen.
Limmattaler Altersheime versuchen, die angeordneten Corona-Schutzmassnahmen der kantonalen Gesundheitsdirektion umzusetzen. Dabei treffen sie aber auf Widersprüche.
Eingeschränkte Besuchszeiten, Abstandsregeln und maskentragendes Pflegepersonal: Für die Bewohnerinnen und Bewohner der Limmattaler Alterszentren änderte sich so manches. Die Situation bleibt angespannt. Die Heime haben unterschiedliche Massnahmen zum Schutz vor Corona: Teilweise gilt die Regel, dass pro Besuch beispielsweise nur zwei Personen erscheinen dürfen. In gewissen Limmattaler Heimen droht den Bewohnern gar eine zehntägige Maskenpflicht, sobald sie das Heim verlassen. «Für die Bewohner ist die Situation nicht einfach», sagt Otto Kaufmann, Gesamtleiter des Alterszentrums Weihermatt in Urdorf.
Vonseiten der kantonalen Gesundheitsdirektion gibt es einige Anordnungen, an die sich alle Altersheime halten müssen. Diese sind inzwischen so locker formuliert, dass sie viel Spielraum in der Umsetzung lassen. In den Weisungen wird beispielsweise festgehalten, dass Altersheime ihre Schutzvorkehrungen so weit lockern und den Bewohnern so viel Freiheit gewähren müssen, wie dies in Hinblick auf Corona vertretbar ist. Durch diese Weisung wurden die Limmattaler Alterszentren vor ein Dilemma gestellt.
Bewohner vermissen vor allem die Berührungen ihrer Angehörigen
«Die Massnahmen sind zum Teil widersprüchlich. Es soll eine möglichst geringe Gefahr mit einem möglichst hohen Mass an persönlicher Freiheit zusammengebracht werden», sagt René Brüggemann, Zentrumsleiter des Seniorenzentrums Im Morgen in Weiningen. Das führe dazu, dass sich der Betrieb der Kritik aussetze, egal ob man das Risiko einer Ansteckung minimieren oder dem Anspruch der Bewohner auf Freiheit Rechnung tragen wolle.
«Als die Infektionszahlen sanken, wurden die vorgegebenen Schutzmassnahmen der Gesundheitsdirektion rasch gelockert», sagt Brüggemann. Den nun wieder ansteigenden Zahlen werde jedoch kaum Rechnung getragen. «Die Vorgaben der Gesundheitsdirektion müssten näher an der Entwicklung der Fallzahlen sein, auch wenn sie somit nicht populär wären.» Weiter kritisiert Brüggemann, dass laut den kantonalen Anordnungen Zimmerbesuche möglich sein sollten: «Man stelle sich vor, dass sich Bewohner und Angehörige monatelang nicht gesehen haben und sich dann ohne Aufsicht im Zimmer befinden. Ist es realistisch, anzunehmen, dass es nicht zu Körperkontakt kommt?» Aufgrund dieser Vermutung lässt das Seniorenzentrum Im Morgen keine Zimmerbesuche zu. Doch genau Berührungen ihrer Angehörigen seien das, was die Bewohner am meisten vermissen.
Familienfeiern sind nicht mehr möglich
Kaufmann vom Alterszentrum Weihermatt erachtet die Vorgaben der Gesundheitsdirektion als adäquat, auch wenn die Situation für die Bewohner schwierig sei. «Aufgrund der Coronaregeln sind keine grossen Familienfeiern im Alterszentrum möglich», sagt er. «Aus Platzgründen dürfen Angehörige auch nicht mit den Bewohnern zu Mittag essen. Das isoliert diese zunehmend.» Beim Personal gelte eine Maskenpflicht. Dadurch, dass die Bewohner den Gesichtsausdruck der Mitarbeiter nicht sehen können, falle das Vertraute weg. «Zudem gibt es Bewohner, die von den Lippen lesen», sagt Kaufmann. Auch Besucher müssen im Alterszentrum Weihermatt eine Maske tragen.
Im Alterszentrum Sandbühl in Schlieren gilt für Besucher ebenfalls eine Maskenpflicht. Martin Santschi, Leiter des Zentrums, ist der Meinung, dass eine Maskenpflicht, wie sie nun in einigen öffentlichen Bereichen gilt, schon früher fällig gewesen wäre. «Alle, die das Sandbühl betreten, müssen ihre Kontaktdaten angeben, auch Lieferanten und der Pöstler», sagt er. Mit Einschränkungen können nun interne Aktivitäten wieder stattfinden. Darüber seien die Bewohnerinnen und Bewohner sehr glücklich.
«Die erste Regelung mit dem absoluten Besuchsverbot fand ich zu einschneidend», sagt Andreas Schlauch, Gesamtleiter des Alters- und Gesundheitszentrums in Dietikon. «Ich wollte sofort eine geschützte Besuchszone einrichten.» Doch die Vorgaben seien so streng gewesen, dass er dieses Vorhaben nicht umsetzen durfte. «Einige Monate später musste ich dann plötzlich auf Anordnung der Gesundheitsdirektion doch eine solche Zone einführen», sagt Schlauch. Die Umsetzung der Schutzmassnahmen sei personal- und somit kostenintensiv, fügt er hinzu.
Den Bewohnern gehe es mit der Situation im Grunde wie allen: Sie seien geprägt von der Unsicherheit, mit der man nun schon so lange konfrontiert sei, sagt Schlauch. Deshalb sei es mit oder ohne Pandemie eine der wichtigsten Aufgaben des Zentrums, den Bewohnern emotionale Sicherheit zu geben.
In keinem dieser vier Limmattaler Altersheime wurden bisher Coronafälle festgestellt. Ein paar wenige Bewohner mussten jedoch in Quarantäne, etwa weil sie Kontakt zu einer infizierten Person gehabt hatten oder kränklich waren und das schliesslich negative Testergebnis abwarteten.

