
Die Hälfte starb in Alters- und Pflegeheimen: Sind die Institutionen für eine zweite Coronawelle gewappnet?
Wo das Virus ins Altersheim kam, war das Ende tragisch. Im Altersheim Les Lys in Prilly VD starben 22 der 59 Bewohner. Auszubildende hatten das Virus hineingebracht. In Ennenda GL starben in einem Heim elf Menschen, in einem Basler Demenzzentrum waren es 15. In Saas-Grund VS erlagen 15 Menschen in einem Heim dem Virus, allein 91 sind es im ganzen Wallis in Heimen.
Den ältesten Teil der Schweizer Bevölkerung hat die Coronakrise am heftigsten getroffen: Rund 50 Prozent der Covid-Toten in der Schweiz lebten in einem Alters- oder Pflegeheim, wie Zahlen der nationalen Covid-Task- Force und Nachfragen bei Kantonen zeigen. Alleine im Kanton Genf waren es über 100. Dafür gibt es Gründe:
- Menschen leben auf engem Raum
- Dementen Personen können Verhaltensregeln nicht so einfach beigebracht werden
- Angestellte gehen ein und aus
«Eine Pflegesituation ist nicht mit Abstand machbar», heisst es aus Glarus. Mehrere Kantonsärzte nennen einen weiteren Grund: Bewohnerinnen und Bewohner haben in ihren Patientenverfügungen oft festgelegt, dass sie nicht mehr in ein Spital gebracht werden möchten.
Doch es gab auch klare Versäumnisse
Nicht zuletzt sind Personen oft bereits gesundheitlich schwer angeschlagen, wenn sie ins Heim gehen: In der Waadt, wo es 255 vermutete oder bestätigte Todesfälle in Institutionen gab, leben auch in normalen Zeiten 45 Prozent der Menschen nach dem Eintritt nicht mehr länger als zwei Jahre.
Zumindest zu Beginn der Pandemie fehlte auch Schutzmaterial in den Institutionen. Der Bund hat zwar bereits früh spezielle Empfehlungen für Altersheime veröffentlicht. Doch noch im April stand dort der Rat, Schutzmaterial zurückhaltend zu verwenden: «Auch wenn Schutzmaterial in Ihrer Institution (noch) nicht quantitativ begrenzt ist und Lagerbestände vorhanden sind, so kann eine vorausschauende, sparsame Bewirtschaftung sinnvoll sein, um eine rasche Erschöpfung des verfügbaren Materials zu verhindern», schrieb das Bundesamt. Dazu sagt heute Mediensprecher Daniel Dauwalder:
«Es war kein Aufruf zu inkorrektem Handeln, aber zu bewusstem Einsatz der beschränkten Mittel. Im April war das Schutzmaterial weltweit beschränkt.»
«Prinzipiell ein gefährlicher Ort»
Tests wurden aufgrund der Bundesvorgaben zudem nur bei Personen mit Symptomen durchgeführt, Fälle wurden so nicht entdeckt: Als die Stadt Zürich in Pflegeheimen grossflächig testete, zeigte sich, dass 40 Prozent der Coronainfizierten keine Symptome zeigten. Arzt Felix Huber sagt:
«Altersheime sind in dieser Hinsicht prinzipiell ein gefährlicher Ort: Wenn ein Virus auftritt, kann es heftig einschlagen.»
Er hat für die nationale Covid-Task-Force eine Studie mitverfasst, die die Betreuung Betagter und Hochbetagter untersucht hat. Übertragungsketten seien schwer zu durchbrechen, so Huber. Auch seien bei Neueintritten verheerende Fehler passiert.
«Derzeit ist die Gefahr kleiner, weil die Fallzahlen tiefer sind.»
Besser vorbereitet auf zweite Welle
Was passiert bei einer zweiten Welle? Wie sind die Heime vorbereitet? Zuerst immerhin: Die Todesfälle in grosser Zahl sind grossteils auf den Beginn der Pandemie zurückzuführen, wie eine Nachfrage bei den kantonalen Gesundheitsdirektionen zeigt. Die überwiegende Zahl der Todesfälle und der unkontrollierten Grossausbrüche fand vor Anfang Mai statt.
Inzwischen sind die Institutionen besser vorbereitet, wie fast alle kantonalen Gesundheitsdirektionen betonen: Quarantänestationen wären schneller eingerichtet, Mitarbeitende wurden weiter in den Hygiene- und Abstandsmassnahmen geschult, Schutzkonzepte geschrieben, es wird breiter getestet. Im Kanton Obwalden hat man auch bei unklaren Todesursachen einen Testabstrich gemacht, um allfällige Infektionen zu finden.
Widerstand gegen gewisse Schutzmassnahmen
Knackpunkt bleiben Personen, die das Virus von aussen in Heime tragen könnten. «Angestellte müssen sich der besonderen Verantwortung bewusst sein», sagt Huber. Vorschriften, wie sich Personal in der Freizeit zu verhalten habe, könne man letztlich aber nicht durchsetzen.
Restriktiv haben Altersheime auch Besuche eingeschränkt. Dies wird inzwischen hinterfragt: Denn um das Risiko einzudämmen, wurden auch die Rechte der Bewohner eingeschränkt. Es gelte, einen Zwischenweg zu finden, sagt Felix Huber:
«Man kann Leute nicht um jeden Preis und gegen ihren Willen gesund behalten.»
Das Besuchsverbot war aus seiner Sicht «für viele Betagte schädlich». Auch Risikopatienten müssten entscheiden können, ob sie sich einem Risiko aussetzen wollen.
Zuletzt hielten Medizinethiker in einem Appell fest:
«Speziell für demenzbetroffene Menschen hat sich gezeigt, dass die räumliche und soziale Isolation von wichtigen Bezugspersonen zu einem raschen kognitiven Abbau und körperlichem Zerfall führen – nicht selten mit Folgeerkrankungen, die bis zum Tod führen können.»
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