
Ein bisschen Heim, ein bisschen Wohnung: Wie der Kanton St.Gallen in der Alterspflege Millionen sparen will
Der Kanton St.Gallen will betreutes Wohnen fördern. Doch die neue Wohnform stösst auch auf Vorbehalte.
77 Jahre sind eigentlich kein Alter, findet Herr Bucher. Zwar unterstützt ihn seine Tochter gelegentlich bei Behördengängen und beim Einkaufen, doch seine Mahlzeiten kocht er sich noch alleine. Nur das Treppensteigen bereitet ihm zunehmend Mühe – die langen Jahre auf dem Bau haben Spuren hinterlassen. Er würde gerne in ein Angebot für betreutes Wohnen umziehen: eine Einzimmerwohnung mit Lift und Reinigungsservice. Bloss: Herr Bucher kann sich mit seiner AHV-Rente die höheren Mietkosten nicht leisten. Deshalb zieht er notgedrungen in ein Pflegeheim – obwohl er sich geistig und körperlich noch fit fühlt.
Das Beispiel ist fiktiv, doch es steht stellvertretend für das Dilemma vieler älterer Menschen. Ende 2017 wohnten im Kanton St. Gallen 1012 AHV-Beziehende mit einer Pflegestufe zwischen null und zwei in einem Heim. Viele von ihnen könnten mit etwas Unterstützung in einer geeigneten Wohnung noch viele Jahre selbstständig wohnen. Doch weil die Ergänzungsleistungen nicht ausreichen, entscheiden sie sich aus finanziellen Gründen für einen Heimeintritt. Auch zum Nachteil des Kantons – denn die Betreuung in einem Pflegeheim ist deutlich teurer. Die St. Galler Regierung schlägt deshalb vor, die Mietkosten für betreutes Wohnen bei den EL künftig anzurechnen. Der Kantonsrat berät die Vorlage in der kommenden Februarsession.
Der Kanton könnte bis zu 15 Millionen Franken sparen
Mit der Gesetzesänderung könnte der Kanton St. Gallen 3 bis 14,8 Millionen Franken pro Jahr einsparen, schreibt die Regierung in ihrer Botschaft. Je nachdem wie viel Personen künftig von einem verfrühten Heimeintritt absehen werden. Doch es gibt nicht nur Sparargumente. Das betreute Wohnen ist für viele Ältere ein attraktiver Mittelweg zwischen der Betreuung zu Hause und dem Gang ins Pflegeheim. Dadurch ist die neue Wohnform auch zu einem interessanten Markt geworden. Gemäss einer Studie mehrerer Dachorganisation aus dem Bereich der Pflege gibt es in der Schweiz zurzeit etwa 16000 Plätze für betreutes Wohnen. Die Familienplattform Ostschweiz listet auf ihrer Website 24 regionale Einrichtungen auf. Die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher sein. So entstehen in der Ostschweiz zurzeit mehrere Pflegezentren mit integrierten Angeboten für betreutes Wohnen.
Für Betroffene ist die Orientierung zurzeit noch schwierig. Zwar gibt es eine kantonale Pflegeheimliste, doch eine vergleichbare Übersicht für betreutes Wohnen fehlt. Künftig soll es auch für betreutes Wohnen eine offizielle kantonale Liste geben. Anbieter können sich dann für eine Zulassung auf dieser Liste bewerben – die Voraussetzung dafür, dass ein Teil der Kosten von den EL übernommen werden. Wie das Anerkennungsverfahren genau aussehen werde, müsse vom Kanton noch definiert werden, sagt Barbara Widmer von der Abteilung Alter im St. Galler Amt für Soziales.
Hier können Sie den Originaltext lesen: https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ein-bisschen-heim-ein-bisschen-wohnung-wie-der-kanton-stgallen-in-der-alterspflege-millionen-sparen-will-ld.1193996.

